Schreiben aus Paris vom Sonntag den 12. Juli 1789
Was jeder Vernünftige, und Sachverständige schon lange befürchtete, ist endlich gestern eingetroffen. Der Liebling des Volks, die Hoffnung aller, die französischen Leibrenten ziehen, Necker (Jacques Necker – Wikipedia) – ist nicht mehr Minister der Finanzen. Gestern Nachmittags erhielt er einen königlichen Verbannungsbrief, und reißte noch in der Nacht von Versailles ab. So bald diese Nachricht heute Früh in Paris sich verbreitete, entstand in allen Gegenden der Stadt ein fürchterlicher Auflauf des Volks, und seit einigen Stunden hat es bereits traurige Auftritte zwischen dem Militaire und dem Pöbel gegeben. Man befürchtet hier, und in den Provinzen, schreckliche Szenen. Die Scoutierkasserste sich unter diesen Umständen nicht mehr lange halten. Die Staatspapiere sinken mit jeder Stunde. Die Post geht ab. Ich muß schließen.
digiPress: Augsburgische Ordinari Postzeitung von Staats-, gelehrten, historisch- u. ökonomischen Neuigkeiten (Augsburger Postzeitung) vom Dienstag, dem 21. Juli 1789
Frankreich.
(Von den fürchterlichen Auftritten in Paris und Versailles, welche die Aufmerksamkeit von ganz Europa auf sich ziehen, und die in der französischen Geschichte ein Hauptepoche machen werden, sind wir heute im Stande, vom 10. bis 16. Jul. ein sehr interessantes Journal zu liefern, um das zu ergänzen, was bereits in unsern Zeitungs-Blättern davon gemeldet worden.)
Den 10. Jul. Der König hält verschiedene Konferenzen, wobei seine Brüder sich einfinden.
In der Reichsversammlung wird der Entschluß gefaßt, alle Ausgaben und Einnahmen des Reichs einem eigenen Finanzkollegium von 64 Männern zu unterwerfen. Dazu sollen nemlich 1 Abgeordneter aus jeder Kammer und zu diesen 30 Abgeordnete von jeder der 34 Generalitäten, worein Frankreich in Absicht auf seine Finanzen getheilt ist, 1 Abgeordneter erwählt werden. Diese 64 Männer sollen nach einem bleibenden Fuß alle Finanzen verwalten. Ein wohl getroffener aber schmelzender Schlag für alle die, so die Reichs Einkünfte um ihres eigenen Vortheils willen gerne in der Verwirrung sahen.
Den 11. Jul. Necker erhält den Befehl sogleich das Land zu verlassen, unmittelbar nach einem Zwist, der sich wegen seiner Weigerung, die rückständigen Zinsen und Schulden des Grafen von Artois unter die ausserordentliche Ausgaben des Staates aufzunehmen, erhob.
Den 12. Jul. Man erfährt Mittags, daß Necker entlassen und Graf Artois Bruder des Königs daran Schuld sei. Ein allgemeiner Unwille des Volks erhebt sich gegen diesen und die ihm gleich gesinnte Ministers und zugleich gegen die Schweizer und deutsche Soldaten die man um den Thron zu umlagern und gegen die Nation zu schüzen herbei gerufen hatte. Um 7 Uhr Abends hörte man die ersten Kanonenschüsse von dem Platz Ludwig XV. In weniger als einer Stunde waren mehr als 100.000 Menschen mit Säbeln, Flinten, Prügeln, brennenden Fackeln usw. bewaffnet. Sie liefen gleich Rasenden durch die Strassen, erhoben ein fürchterliches Geschrei und zwangen junge Leute sich zu ihnen zu gesellen. Sie fielen über das Reiterregiment Royal Allemand her, erschlugen mehr als 30 derselben nicht sowohl aus Haß gegen diese deutsche Reiter, als vielmehr gegen ihren Obristen den Herzog Karl Eugen von Lotheringen und Fürsten von Lambesc, der es sich zum Geschäft macht, Alles was nicht hoher Adel heißt, als Kanallie zu behandeln. Schon wollte man Feuer in seiner Wohnung legen, als man erfuhr, daß solche nicht dem Prinzen sondern dem König gehöre, und deshalb es unterließ. Fällt seine Person in die Hand der Unzufriedenen, so ist er verloren. Jedermann war im größten Schrecken wegen des unabläßlichen Kanonenfeuers.
Den 13. Jul. Alle Kassen, Kaufmannsbuden und mehrere Marktplätze sind geschlossen.
Die Bestürzung ist allgemein.
Die Menge Volks will mitten durchbrechen, um das Schloß zu Versailles anzuzünden. Sie erwartet 30,000 junge Bretagner, ohne die Normannier zu zählen, welche letztere, kommen um die Nationalversammlung zu beschützen, die sich nicht getrennt hat.
Man erbricht das Kloster St. Lazarus, findet sehr viel Mehl darin, führt es auf den Kornmarkt und auf jedem Wagen 2 Geistliche des Klosters zur Begleitung.
Wer nicht eine grüne Kokarde, die von dem rasenden Haufen zum Nachtheil und Verdruß der Gutdenkenden aufgebrachte Farbe des Bürgerstandes, trägt, wird mishandelt. Alle Prinzen, selbst auswärtige Gesandten und ihre Dienerschaften, stecken zur Sicherheit ihres Lebens grüne Kokarden auf.
Die Dragoner und die Reiter des Regiments Royal Allemand werfen die Waffen weg. Die Empörer tragen die Hüte der erschlagenen deutschen Reiter auf ihren Köpfen.
De la Galaiziere wurde von dem König zum Generaldirektor der Finanzen, Breteuil zum Chef des königl. Raths der Finanzen ernannt. Bidond de la Tour erhält das Contentiose, Herzog de la Baugunondte auswärtige Geschäfte, von Broglis das Kriegsfach, Foulon ist ihm untergeordnet, und de la Porte erhält das Seewesen.
Der Bürger, dem Prinz von Lothringen Lambesc den Kopf spaltete war ein 75jähriger Greis.
Den 14. Jul. Von allen Seiten gehen aus Provinzen Nachrichten von fürchterlichem Aufstand, und Bewafnung der Bürgerschaften ein. Die Bastille in Paris wird gestürmt, und der Gouverneuer derselben de Launan, und der Prevot der Kaufleute, der Graf von Fleselle auf öffentlichem Gerüst, als Verräther der Nation enthauptet.
Den 15. Der König, von dem schrecklichen Zustand seiner Hauptstadt Paris, seiner Residenzstadt Versailles, und der ganzen Monarchie benachrichtigt, von den treulosen Rathgebungen seiner Hofleute überzeugt, von der fürchterlichen Gefahr, die über ihm, der königl. Familie und dem ganzen Hofe schwebt, beunruhigt, und gemartert, faßt auf Eingeben einiger redlicher Männer, die keine Hofleute sind, den Entschluß sich selbst in die Reichsversammlung, oder Versammlung der Generalstaaten zu begeben. Er geht Mittags ganz allein, ohne alle Pracht, in einem fimolen Auszug nach dem Reichssaal. Der König tritt in die Versammlung wieder alles Erwarten ein, er setzt sich auf den Thron, und hält due unten folgende Rede. Kaum ist sie geendigt, so erhebt sich unter der ganzen Versammlung die einhellige Stimme: Es lebe der König. Die Glieder der Reichsversammlung eilen, dem Volk, das vor dem Saal in unzählbarer Menge harrt, die fröhlichen Aeusserungen des Königs, zu hinterbringen. Der König geht aus dem Reichssaal heraus, ohne Wache, ohne Höflinge, zu Fusse, begleitet von den Reichsständen. (Generalstaaten) das Volk ist vor Freude ausser sich, die Luft ertönt von Vive le Roi ! der Zug des Königs dauert anderthalb Stunden. Der Monarch wird durch die Aeusserungen der Liebe und der Zuneigung seines Volks bis zu Thränen gerührt. Von der heftigen Rührung ermattet, stützt er sich anfänglich auf die Arme einiger Glieder der Generalstaaten, dann aber wird er im Triumph in die Höhe gehoben, und bis vor das königl. Schloß (in Versailles) auf den Händen getragen. Die Königin ist mit ihren 2 Kindern auf dem großen Balkon des Schlosses, sie hält dieselbe auf den Armen benetzt mit Thränen und weint laut vor Freuden bei dem Anblick des Königs. Der Monarch kommt im Schlosse an, wird die Treppen hinauf getragen, begiebt sich auf den Balkon, und genießt noch eine Stunde lang am der Seite der Königin den Anblick eines vor Wonne taumelnden, und Freudetrunkenen Volkes.
Rede des Königs, gehalten am 15. Jul. Mittags in dem Saal der Generalstaaten.
Ich habe Sie, meine Herren, versammelt, um über die wichtigsten Staatsangelegenheiten Ihren Rath zu vernehmen. Kein Gegenstand beklemmt und betrübt mehr mein Herz, als die in der Hauptstadt entstandene Unordnungen. Der Chef der Nation komt mit Zutrauen mitten unter die Representanten seines Volks, entdeckt ihnen seinen Kummer, und ladet sie ein, die Mittel ausfindig zu machen, um Ordnung und Ruhe wieder herzustellen. Ich weiß, man hat ungerechte Meinungen gefaßt, man hat sogar vorgegeben, daß selbst eure eigene Personen nicht mehr sicher seien; aber solche strafbare Gerüchte, die schon durch meinen bekannten Charakter widerlegt sind, verdienen keine weitere Widerlegung, Wohlan, meine Herren, ich mache mit der Nation nur ein Ganzes aus! Ihnen vertraue ich mich an ! helfen Sie mir in der gegenwärtigen Lage das allgemeine Beste berathen. Ich erwarte dieß von der Nationalversammlung. Der Eifer der Repräsentanten meines Volkes für das allgemeine Beste vereinigt, ist mir Bürge dafür. Und weil ich auf die Liebe, und auf das Zutrauen meiner Unterthanen rechne, so habe ich den Truppen Befehl gegeben, sich von Paris und Versailles zu entfernen (welches bekanntlich die Reichsstände zuvor durch eine Deputation verlangt hatten.) Ich gebe Ihnen auch Vollmacht diese meine Gesinnung meiner Hauptstadt Paris bekannt zu machen.
So hätte ich also der König in die Arme der Reichsstände geworfen. In dieser, als der Volks-Repräsentanten, Händen, ist das Schicksal Frankreichs. Der Schritt, den der König that, macht seinem Herzen, und seinen Rathgebern Ehre; und er war das nächste und treffendste Mittel, um Frankreich vom drohenden Untergang zu retten. Aber noch ist weiter nichts gethan, als die Ruhe wieder hergestellt, die vielen und großen Gegenstände, welche die Berathschlagung der Reichsstände ausmachen sollen, sind noch nicht erörtert: Neckers Schicksal und Verbannung von diesen noch nicht gut geheissen, die Rebellion in den Provinzen, noch nicht gefüllt, lauter Punkte, dies erst die Zukunft aufklären wird.
digiPress: Augsburgische Ordinari Postzeitung von Staats-, gelehrten, historisch- u. ökonomischen Neuigkeiten (Augsburger Postzeitung) vom Freitag, dem 24. Juli 1789
Weitere Berichte zum 14. Juli 1789:
digiPress: Augsburgische Ordinari Postzeitung von Staats-, gelehrten, historisch- u. ökonomischen Neuigkeiten (Augsburger Postzeitung) vom Samstag, dem 25. Juli 1789
digiPress: Bayreuther Zeitung vom Samstag, dem 25. Juli 1789
digiPress: Vaterlandschronik (Deutsche Chronik) vom Freitag, dem 24. Juli 1789
Hiermit beende ich nun diese Interessante Reise durch die Vorläufer der Revolution. Ich hoffe Ihr hattet Spaß !