Der IS kämpft jetzt in Europa
Deutschland droht Krieg
Der Islamische Staat kommt in Syrien nicht voran - und trägt seinen Dschihad ins Herz Europas. Präsident Hollande wertet die Anschläge von Paris als Angriff von außen. Das hat womöglich schwerwiegende Folgen für Deutschland.
"Das war ein Kriegsakt", sagt Frankreichs Präsident François Hollande, als er sich zu den Anschlägen von Paris äußert. Er macht den Islamischen Staat (IS) verantwortlich, der bislang nur im Nahen Osten seine schwarze Fahne in den Kampf trug. Das ist nun vorbei. Europa gehört zum Kampfgebiet. Erdacht und geplant im Ausland, sagt Hollande, aber in Frankreich ausgeführt.
Etwa eine Stunde nach den Äußerungen des Präsidenten folgt das Bekennerschreiben des IS. Authentisch ist es höchstwahrscheinlich, mehrere Experten haben es analysiert. Darin wird Frankreich als das Hauptziel des IS definiert - und "all jene, die seinem Pfad folgen". Die Angriffe von Paris seien "nur der Anfang eines Sturms". Die anscheinend konzertierten Terrorakte passierten vielleicht nicht zufällig in der Nacht vor der Wiener Konferenz zu Syrien, wo mehr als 20 Staaten versuchen, für das Land einen Weg zum Frieden zu finden.
Statt einer Friedensbotschaft aus Wien nun eine des Schreckens aus Paris: Bomben, Terror, Tote. Al-Kaida, das andere große Terrornetz, hatte in Afghanistan auch eine territoriale Basis, führte aber seine Angriffe nicht von deren Grenzen aus, sondern mit Attentätern im Westen; 9/11 in New York, bei den Zuganschlägen in Madrid im Jahr 2004, oder auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" in Paris. Jetzt macht es der IS ebenso, "eine treue Gruppe der Armee des Kalifats" habe die "Hauptstadt der Unzucht und des Lasters" attackiert, tönen die Dschihadisten in ihrem Bekennerschreiben.
Angriffe auf Öl- und Gasanlagen
Der IS hatte zuvor den offenen Kampf in Syrien und im Irak gesucht, um ihre Vorstellung eines Schariahstaats durchzusetzen. Das Ergebnis waren große Landgewinne. Der Westen mischte sich ein, aufgeschreckt durch die Brutalität der radikalen Islamisten; aus der Luft wurden Bomben geworfen, am Boden gegnerische Parteien mit Waffen und Ausbildung unterstützt. Inzwischen ist der Feldzug der Dschihadisten ins Stocken geraten, vor wenigen Tagen verloren sie wichtige Stützpunkte.
Tausende Menschen nahmen in Berlin Anteil. Am Pariser Platz befindet sich die französische Botschaft. Es ist kein Zufall, dass Frankreich zum Angriffsziel der Terroristen wurde. Seit Ende September führt Frankreich Krieg gegen die Dschihadisten. Hollande kündigte Anfang der Woche die Verlegung des Flugzeugträgers Charles de Gaulle in die Region an. Die französische Luftwaffe flog Angriffe auf Öl- und Gasanlagen des IS, der sich durch den Verkauf von Rohstoffen finanziert. Insgesamt gab es etwa 1300 französische Flugeinsätze im Irak, davon 271 Luftschläge, bei denen mehr als 450 terroristische Ziele zerstört wurden. Die Kampfflugzeuge sind in Saudi-Arabien und Jordanien stationiert.
Der IS nimmt in seinem Bekennerschreiben darauf Bezug: Frankreich sei zum Ziel geworden, weil es einen Kreuzzug anführe, den Islam in Frankreich bekämpft und "Moslems im Kalifat mit ihren Flugzeugen angegriffen" habe. Seit Freitag wird der Krieg des Islamischen Staates auch auf europäischem Boden gekämpft. Mindestens einer der acht Attentäter von Paris war Franzose und Rückkehrer aus dem IS-Kriegsgebiet, sagen Sicherheitsbehörden an der Seine. Er ist einer von vielen. Kein anderes Land in Europa ist so involviert in die Kampfhandlungen in Syrien und dem Irak, wo der IS territoriale Kontrolle ausübt.
Die Nato wird entscheiden
Im April stellte der französische Senat fest, dass unter den 3000 europäischen Dschihadisten mindestens 1430 einen französischen Pass haben. Im Januar waren es 1200 Franzosen, gibt das Extremismus-Forschungsinstitut ICSR an. Demnach umfassen die beiden nächstgrößeren Gruppen europäischer IS-Kämpfer je 500 bis 600 Islamisten. Sie kommen aus Großbritannien und Deutschland.
In Frankreich sollen dem Senatsbericht zufolge zudem 1570 Personen mit französischer Staatsbürgerschaft Verbindungen nach Syrien haben, 7000 werden darin als mögliche zukünftige Unterstützer oder Kämpfer eingestuft. Aktuell sollen sich mindestens 350 IS-Heimkehrer in Frankreich aufhalten. Davon sitzen mehr als 150 in französischen Gefängnissen, mindestens 200 sind auf freiem Fuß.
Behält Hollande seine Argumentation bei, die Attentate seien ein "Akt des Krieges" von außen, und stellt einen entsprechenden Antrag beim Nato-Rat, könnte dies den Bündnisfall bedeuten. So wie beim bislang einzigen Mal nach dem 11. September 2001. Das hieße: Die US-geführte Allianz in Syrien wird zum Nato-Einsatz - der sich dann möglicherweise nicht mehr auf Luftschläge und, wie die Bundeswehr, Schulung und Ausrüstung kurdischer Kämpfer beschränken würde. Deutschland wäre im Krieg. Nicht nur im Nahen Osten.